Lämmleweg umbenennen! Zur Arbeit der Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen
Von der gründlichen und transparenten Arbeit der Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen und ihrer Vorstellung am 9. Januar im KuBiS durch Johannes Großmann von der Universität Tübingen sind wir sehr angetan. Es ist überzeugend, was die Kommission im Detail zusammengetragen hat und was sie – sehr differenziert – empfiehlt:
- Von aktuell 1.059 Tübinger Straßennamen werden 11 (ursprüngliche Shortlist) und weitere 76 als problematisch eingestuft, zusammen also 87 Straßennamen (Longlist). Das sind ca. 8 % aller Tübinger Straßennamen.
- Lediglich bei 6 dieser 87 Straßen wird eine Umbenennung empfohlen, weil die Namensgeber historisch besonders stark belastet sind hinsichtlich des mit-transportierten Gedankenguts – das sind nur 7 % der als problematisch eingestuften Straßennamen. Beim Rest, das sind mit 81 Straßen ganze 93 %, soll der bisherige Name erhalten bleiben.
- Zusätzlich zu den 11 schon mit Knoten ausgestatteten Straßen sollen bei 3 weiteren zusätzliche Knoten angebracht werden. Das heißt, dass hier keine Umbenennung erfolgen soll.
- Bei 32 der 87 Straßennamen der Longlist ergaben sich für die Kommission keine Anhaltspunkte für einen dringenden Handlungsbedarf.
In Hirschau sind außer dem Lämmleweg noch die Adolf-Kolping-Straße, die Lenaustraße, die Jahnstraße und der Dischingerweg untersucht worden. Nur bei der Jahnstraße wird eine kritische Kommentierung empfohlen.
Bei der Online-Vorstellung hat Herr Großmann die Vorteilnahme Lämmles im Zuge der ,Arisierung‘ hervorgehoben und auch, dass dieser in der Nachkriegszeit keinerlei Einsicht zeigte. Auch darauf fußt die Empfehlung zur Umbenennung des Lämmlewegs.
Dem Gutachten der Kommission können wir folgen, gerade auch in Bezug auf den Lämmleweg. Denn der Ansatz, kompromittierte Straßennamen im Sinn der Erinnerung, Aufklärung und Auseinandersetzung zu erhalten, hat seine Grenzen, wenn das Fehlverhalten der Namensgeber zu groß ist. Lämmle war Propagandist eines schwäbischen Nationalsozialismus und kein harmloser Heimatdichter auf Abwegen. Und weil heute kaum noch jemand etwas mit seinem Namen verbindet, muss an ihn auch nicht negativ erinnert werden. Für Aufklärung und Auseinandersetzung bleibt noch ein großer Rest.
Wir müssen keine Geschichtsklitterung befürchten und alle problematischen Namen erhalten. Denn welche Geschichte wird denn angeblich durch eine Umbenennung beschönigt? Wo bleiben beispielsweise die Opfer der Nazidiktatur, deren Geschichten seit über 70 Jahren in unseren Straßennamen überhaupt nicht vorkommen? Sie mussten vielmehr bis in die 1990er Jahre um die Anerkennung ihres Status vor Gericht ziehen. Wenn problematische Namen dann auch noch zusätzlich einen Knoten an die Stange und eine Internetseite bekommen, dann kann man fast den Eindruck gewinnen, diese Personen erhielten zum zweiten Mal eine „Ehrung“, die sie über andere Personen der Geschichte hinaushebt.
Eine Umbenennung macht darüber hinaus auch Sinn, wenn man sich klar macht, dass diese Straßennamen ja nicht während der Nazidiktatur erfolgt sind, sondern meistens in den 1950er Jahren – beschlossen von demokratisch gewählten Gemeinderäten. Das zeigt, wie weit und wie lange das Nazigedankengut verbreitet war. Und wir wundern uns, dass es diese Gedanken heute immer noch gibt!
Ein Ende der Bagatellisierung und des Schönredens – und damit eine Umbenennung – ist jetzt erforderlich. Wie wäre es etwa mit
- Carl Laemmle-Weg – Carl Laemmle ist einer der Erfinder von Hollywood, er wurde in Laupheim als Sohn eines jüdischen Viehhändlers geboren.
- Erich Kästner-Weg – Erich Kästner ist einer der wenigen prominenten Gegner des Nationalsozialismus, die diese Zeit in Deutschland bleibend überstanden haben.
- Oder, in Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Eugen-Bolz-Weg, Georg-Elser-Weg, Lilo-Hermann-Weg – sie war die die erste Frau, die 1938 mit 29 Jahren als Widerstandskämpferin zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde
Uli Sichau, Barbara Göger, Markus Beschorner, Gunter Neubauer